Von Himmel und Hölle
Sascha Weidners Bilder sind in
hohem Maße subjektiv und idiosynkratisch.
Er hält mit der Fotokamera
fest, was ihn berührt, affektiv und intellektuell.
Das kann die Schönheit
eines roten Tuches auf einer grauen
Asphaltdecke sein, die pathetische
Verlassenheit eines einsamen U-Bahnhofes
oder das in sich versunkene
Antlitz einer Madonna. Aber auch
die anrührende Verletzlichkeit eines
menschlichen Fußes, ein in unendlichem
Blau ertrinkender Himmel, das
durchsichtige Wasser eines Sees. Sie
alle werden zum ebenso poetischen
wie geheimnisvollen Ausdruck der
Welt. In Weidners Bildern wird ein
nicht müde werdendes Staunen sichtbar,
das auch noch im Kleinsten und
Abgelegenen das Wunder des Lebens
entdeckt. Seine Bilder wecken ein Gefühl
für die Schönheit der Welt, aber
auch für ihren Schrecken. Wobei sich
nicht selten widersprüchlichste Anmutungen
in seinen Aufnahmen vereinen.
Ein verunfalltes Auto rutscht
mit der hilflosen Grazie eines auf dem
Rücken liegenden Käfers über die
Straße. Der Blick in eine dunkle
Höhle ist lockendes Versprechen und
dunkle Gefahr zugleich. Ein leuchtendes
Netz wirkt ebenso bedrohlich
und verstrickend wie durchscheinend
und zauberhaft.
Alle seine Fotografien versieht Sascha
Weidner mit der Ziffer II. Die I gibt
es nicht. Jedenfalls nicht als Foto grafie.
Sie ist aufgehoben in seinem Charakter
und seiner Empfindungs fähigkeit.
In dem, was ihn als Menschen lieben
und leiden und als Künstler sehen und
erkennen lässt. Wenn er den Schritt
macht vom überwältigt Werden durch
die Welt und Wirklichkeit hin zu
ihrer Domestizierung in der Fotografie,
dann bewegt er sich bereits von
Bild I zu Bild II. Innere Aufnahmen
von erfahrenem Glück und Leid bestimmen
die Signatur von Bild I. Die
Kraft und das Genie, diesem Erleben
Form und Ausdruck zu geben, sind
das Wesen von Bild II. Von der die
Seele rettenden Macht eines solchen
Talents wäre lange zu sprechen und zu
schreiben. Die damit verbundene Kältung
des Erlebten und Erlittenen in
der Kunst, des trunkenen Taumels wie
des grausamen Absturzes, bedeutet
nicht im Mindesten Distanzierung,
aber doch eine Objektivierung, die es
auch dem Betrachter möglich macht,
sich in Sascha Weidners Bildern wieder
zu finden.
Vor allem in seinen Bilderzählungen
wird deutlich, wie er das narrative Medium
nutzt, um seine Aufnahmen in
kartesianischer Klarheit mit solcher
Verbindlichkeit auszustatten. Die Fotosequenz,
die er für den Salon Salder
eingerichtet hat, verknüpft kalkuliert
unterschiedliche Zeiten und Räume,
was nicht zuletzt die Entstehungsdaten
der Bilder, zwischen 2006 und
2011, verdeutlichen. Im Zentrum der
Erzählung steht ein junger Mann,
dessen Porträt sich mehr oder weniger
auch im Zentrum der fünfzehn Aufnahmen
befindet, die unterschiedliche
Formate haben und unterschiedliche
Bildträger. Man könnte die Fotofolge
als Memorial ansehen, die ihm huldigt.
Vielleicht weil er gestorben ist –
Eindrücke aus einem Krankenhaus
legen das nahe. Oder, weil die Beziehung
aus einem anderen Grund zu
Ende gegangen ist. Vielleicht dauert
die Beziehung aber auch noch an und
wird in dieser Sequenz bilanziert. Wir
wissen es nicht, und müssen es nicht
wissen. Eben so wenig wie den Na -
men des Mannes. Was wir wissen und
was die Bilder in ihrer Anordnung unübersehbar
deutlich machen ist, dass
mit ihm die Sonne auf- und untergeht,
dass ihn zu kennen und zu lieben
Himmel und Hölle zugleich ist.
Und solche Menschen kannten oder
kennen wir alle in unserem Leben.
Himmel und Hölle, „Heaven“ and
„Hell“, so betitelt Weidner auch zwei
Aufnahmen in seiner unmittelbaren
Nähe. Sie spielen mit unseren Vorstellungen
von ihnen und verkehren sie:
Die Hölle wirkt wie ein Arkadien aus
Sonne und Eis, im Himmel brennt ein
ewiges Feuer. Ein diskreter Hinweis,
dass der andere – wie wir selbst – nie
nur einer ist, sondern wenigstens zwei.
Und mit wenigstens zwei Gesichtern.
Und dass Glück ohne Leid nicht zu
haben ist und Verzückung nicht ohne
Schmerz. Oft mischen sie sich, in Berninis
„Santa Theresa“ wie in Sascha
Weidners Bildfolge. Gehen von einem
„Pol“, auch so heißt eine der Aufnahmen,
zum anderen. Von der graublauen
Kälte der „Flocken“ zur leuch -
tenden Sonnenglut in dem an Casper
David Friedrich erinnernden „Caché“.
Das himmlische Paradies ist längst
„verriegelt“ (Kleist). Das irdische so
unvollkommen und unaufgeräumt wie
das Innere der Handtasche von Sascha
Weidners „Helden“. Dennoch träumen
wir alle von einer Reise per
aspera ad astra, vom Dunkeln ins
Licht. „Denn alle Lust will Ewigkeit,
will tiefe, tiefe Ewigkeit.“ (Nietzsche)
Michael Stoeber
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Sascha Weidner
geboren 1976 in Georgsmarienhütte (Osnabrück),
lebt und arbeitet in Belm und Berlin