Die Kunst der Linie
Die Künstlerin arbeitet in sehr unterschiedlichen
Medien: Zeichnung,
Plastik, Malerei, Installation, Fotografie.
Was dabei eine Art verbindendes
Band zwischen ihnen knüpft ist die
Bedeutung der Linie im Werk von
Sina Heffner. Sie zielt bei ihr stets ins
Herz der Dinge. Dabei verweist die
Konzentration auf die Linie in der
Kunst ganz allgemein auf eine essentielle,
analytische und konzeptuelle
Dimension der Arbeit. Genau so ist es
bei Heffner. Wie spielerisch und verspielt
ihre Werke auch erscheinen
mögen, sie sind stets das Ergebnis
eines genauen Hinschauens der Künstlerin,
einer vollständigen Durch dringung
ihres Gegenstandes und seiner
ebenso reduzierten wie substantiellen
Wiedergabe, die nichts anderes ist als
seine Metamorphose hin zu einem
Wesentlichen in Gestus und Habitus.
Das wird sehr schön anschaulich in
dem Leuchtkasten „Voliere“ (2011)
der Künstlerin in der Ausstellung im
Salon Salder. Er rückt eine plastische
Arbeit ins Bild, die in diesem Jahr für
einen der Schaukästen des Kunstvereins
„Meerkunstraum“ auf der Insel
Wilhelmstein im Steinhuder Meer
entstand. Indem Heffner für die Herstellung
der unterschiedlichen Vögel
ein identisches Material benutzt, sie
aus Draht und einer Ummantelung
aus weißem Papier formt, betont sie
ein Gemeinsames zwischen ihnen.
Ähnlich dem Oberbegriff in der Sprache,
der auch im Einzelnen und Konkreten
unterschiedliche Phänomene
zusammenfasst. Die spezifische Differenz
der einzelnen Vögel in ihrer Voliere
untereinander arbeitet sie da -
gegen durch ihre singuläre Form heraus.
Und die bestimmt sich ganz wesentlich
durch ihren Umriss. Diese
Kontur verstärkt das Licht des Leuchtkastens
zu noch besserer, blendender
Kenntlichkeit.
Die Linie bestimmt ebenfalls die Darstellung
ihrer plastischen Installation
einer Gruppe von Gazellen, gleichfalls
aus diesem Jahr. Auch dieses Werk ist
so zeichenhaft und abstrakt wie gegenständlich
und erzählend gestaltet.
Es ist beides, Zeichnung im Raum
und Raum schaffende Skulptur. Seine
gleichzeitige Teilhabe an unterschiedlichen
Medien macht das Werk im
Sinne der Terminologie von Donald
Judd zum specific object. Sina Heffner
hat ihre Gazellen aus verleimten
Holzplatten geschaffen, was an den
Schnittkanten sichtbar ist. Dementsprechend
flach sind sie. Vorder- und
Rückseite hat sie weiß lackiert, was
wie bei den Vögeln der Voliere ihre
Familienähnlichkeit heraushebt und
den Blick des Betrachters auf die
Kontur und damit einmal mehr auf
die Linie konzentriert. Heffners Gazellen-
Gruppe wirkt wie ein in den
Raum gewanderter, weißer Scherenschnitt.
Er besteht ähnlich einem Paravent
oder Leporello aus mehreren
miteinander verbundenen Gliedern.
Der Charakter des specific object, das
zugleich Fläche und Raum, Malerei
und Plastik ist, erstreckt sich zum Teil
auch auf einzelne Werke ihrer Wand
aus Zeichnungen im Salon Salder.
Darunter auf diejenigen, deren Motive
die Künstlerin wie in den beiden „Vogelschwärmen“
mit der Schere so aus
dem Bildgrund herausgeschnitten hat,
dass sie eine reliefartige Oberfläche
formen. Dabei verbinden sich Bildgrund
und Bildfigur zur unauflöslichen
Einheit. Der Flug der Vögel ist
in einer Weise zeichenhaft wiedergegeben,
dass der Betrachter sich an die
Bilder mit Tanzschritten von Andy
Warhol aus den sechziger Jahren erinnert
fühlt. Beide zeichnen so lakonisch
wie einprägsam eine Bewegungschoreographie
nach, in der das äußerst lebendige
Bild der Tänzer, bzw. der
Vögel, entsteht. Andere Zeichnungen
sind Aquarelle, die ihren Gegenstand
ganz aus der Farbe heraus modellieren,
wobei auch bei ihnen Heffner die
Andeutung genügt, etwa ein Augenpaar,
um darüber die Vorstellung des
ganzen Tieres zu evozieren. Man darf
die Konzentration der Künstlerin auf
das Tiermotiv in ihrem Werk keineswegs
missverstehen. Es geht ihr dabei
nicht um inhaltliche, sondern um formale
Gründe. Heffner thematisiert
das Tier nicht, um Idyllen zu schaffen,
die wir anschauen, um uns in eine vermeintlich
bessere Wirklichkeit hineinzuträumen.
Sie thematisiert das
Tier auch nicht aus politischen Gründen,
um uns darauf aufmerksam zu
machen, wie bedroht, misshandelt und
unterdrückt es in unserer Gesellschaft
ist. All diese Deutungen gehen an
ihrer Motivation vorbei, die eine genuin
künstlerische ist. Sina Heffner
interessiert das Tier als Form, als Körper
im Raum: Das Langgliedrige der
Giraffe, das Fragile des Vogels, das Gespannte
des Leoparden, das Plumpe
und zugleich Grazile des Nilpferdes.
Das inszeniert sie in ihren Werken in
so einmaliger Weise, dass wir am
Ende auch die Tiere mit neuen Augen
wahrnehmen.
Michael Stoeber
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Sina Heffner
geboren 1980 in Bielefeld,
lebt und arbeitet in Braunschweig