Salon Salder


Vertraut und fremd

Eines der stereotyp wiederholten Schlagwörter in der Kunst der Moderne beschwört immer einmal wieder den „Tod der Malerei“ und beruft sich dabei auf Marcel Duchamp. Zu unrecht. Der französische Künstler, der 1912 sein letztes Bild „Ein Akt, eine Treppe herunter gehend“ malte, hatte lediglich vom „Ende des Retinalen“ gesprochen. Als er in seinem Bild den weiblichen Akt von der Horizontalen in die Vertikale und dabei aus der Ruhe in die Bewegung brachte, malte er nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit. Damit hatte er die Kategorien des Sichtbaren erschöpft. Mehr geht nicht. Aber Duchamps Satz vom „Ende des Retinalen“ meinte mitnichten ein generelles Malverbot für jedermann, sondern lediglich das Ende der Mimesis, der nachahmenden Malerei. Nach der Vorstellung des Künstlers hatte sich die Malerei der Zukunft an ein Konzept und an eine Idee zu binden, um weiterhin in legitimer Weise vom Menschen erzählen zu können.

Es scheint, als habe Julia Schmid die Lektion Marcel Duchamps in ihrer Malerei wie kaum eine andere Künstlerin der Moderne beherzigt. Naives Malen kennt sie nicht, obwohl ihr alle Mittel einer nachahmenden Malerei wie gleichfalls wenigen Künstlerinnen ihrer Generation souverän zur Verfügung stehen. Sie konzentriert sich in ihren Bildern auf die Darstellung von Blumen, Büschen und Bäumen, die sie allerdings nie komplett zeigt, sondern stets nur fragmentarisch, als Teil eines abwesenden Ganzen. Das eigentlich Vertraute wird dadurch fremd. Nicht anders als durch die Strategien des Anschnitts, der Fokussierung und Vergrößerung von Blättern und Zweigen, Halmen und Blüten, Sprossen und Trieben in ihren Bildern. Dabei ist die Auswahl dessen, was sie uns zeigt, nicht ihrer Lust und Laune geschuldet, sondern folgt einer zwingenden Vorgabe, in deren Dienst sich die Malerin konsequent stellt.

So zeigen die beiden großformatigen Bilder „Straße vor dem Atelier/Voltmerstraße“ die Flora, die sie dort in den Monaten von Februar bis Juni im Jahre 2008 angetroffen und zu Sujets ihrer Bilder gemacht hat. Die topografische Karte mit der rot markierten Straße, die zwischen den Gemälden hängt, dokumentiert präzise den Ort der Herkunft der Pflanzen. Schließt man die Karte mit der Malerei kurz, wird auch klar, warum das eine Bild so viel mehr Kulturpflanzen zeigt als das andere. Rechts der Straße befinden sich viele Einfamilienhäuser mit kleinen Gärten, links dagegen ein großes Industriegebiet. So sieht man in dem, die Pflanzen der rechten Straßenseite dokumentierenden Gemälde unter anderen blassrosa und blutrote Rosenblüten, strahlend gelbe Forsythien, blaue Glockenblumen und viele Zierpflanzen, während auf der Straßenseite des Industrieareals eher wild wachsende Blumen und Pflanzen heimisch geworden sind. Wir sehen Löwenzahn und Grashalme, grüne Hagebutten und zarte Ahornblätter, Beerenhecken und Goldregenschoten.

Schmid malt additiv. Sie baut keine Stilllebenszenarien, die sie abmalt. Die Konfrontation der Bilder der Voltmerstraße führt dabei bei aller topographischen Präzision hinsichtlich der Wiedergabe der Pflanzen zu einer dramatischen Verkehrung. Das Bild der domestizierten Natur der Vorgärten wirkt im Vergleich mit dem eher entleerten Bild der Natur auf der Seite des Industriegeländes wilder und anarchischer. Als sei jedes zivilisierte Handeln am Ende doch wieder zum Scheitern verurteilt. Da drängt sich in das präzise Bildgeschehen von Julia Schmid ebenso leise wie nachdrücklich eine symbolische Bedeutung, die von Ferne an die Bildfantasien eines David Lynch oder Alfred Hitchcock erinnert. Oder an die Ausführungen von Sigmund Freud, der uns darauf aufmerksam gemacht hat, wie gerade hinter dem Heimlichen, dem Vertrauten und Bekannten, potentiell immer auch das Unheimliche, das Fremde und Bedrohliche, lauert.

Für Julia Schmid selbst ist indes gerade das Malen eine Möglichkeit, sich das Fremde vertraut zu machen. Wo auch immer sie bisher gelebt hat, ob in Deutschland, Italien oder den USA, stets hat sie sich ihre Umgebung malerisch angeeignet. Sie hat dabei ihren Blick wie am Ort ihres Ateliers in der hannoverschen Voltmerstraße auf die Flora in ihrem unmittelbaren Umfeld gerichtet und aus ihrer genauen Kenntnis weitere Erkenntnisse über ihren jeweiligen Lebensort gewonnen. Nicht anders verfuhr sie bei ihrem Projekt „Bohlweg“ (2010). Da hielt sie die Flora einer der Hauptarterien von Braunschweig im Bilde fest. Der Stadt, wo sie in den neunziger Jahren an der HBK studierte und Meisterschülerin von H. G. Prager war.

Michael Stoeber

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Julia Schmid
geboren 1969 in Wuppertal,
lebt und arbeitet in Hannover