Salon Salder


IN SITU

Wie die Maler des 19ten Jahrhunderts verlässt die Künstlerin ihr Atelier, um zu arbeiten. Vor allem wegen des natürlichen Lichts für ihre Bilder, aber auch um ihre Motive und Modelle in authentischer Umgebung zu malen. Das kann eine U-Bahn-Station ebenso sein wie eine Schwimmhalle, die Räume einer Kunstausstellung wie die Wohnküche einer Familie, ein öffentlicher Platz wie das Grundstück eines Betriebs. Ihr Ehrgeiz, ihren Gegenstand treffend wiederzugeben, mischt sich dabei mit dem Willen, ihn zugleich durch intensive Farbigkeit zu verfremden. Caroline von Grone spricht in dem Zusammenhang von einer “Distanznahme des Beobachtens“. Eine Strategie, die an die Textarbeit von Karl Kraus (1874–1936) erinnert, der über sie sagte: „Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück.“ Das gelingt der Künstlerin in ihrer Malerei besonders da, wo sie ihre Motive und Modelle im Echoraum der Kunstgeschichte situiert. Ein Mann mit nacktem Oberkörper steht vor einem Fahrkartenschalter wie der Heiland vor Pontius Pilatus. Eine Frau unter einem Haartrockner wird zu einer zeitgenössischen Version der Susanna im Bade. Und ein Mann, der einen anderen freundschaftlich küsst, schlüpft dabei in Haltung und Gestus in die Rolle des verräterischen Judas Ischariot.

Auch ihre Werkserie der „Zäune“ (2006–08), die sie im Salon Salder zeigt, ist vor Ort entstanden. Es handelt sich um Bilder, die sie für eine Ausstellung in der Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein gemalt hat. Zum Motiv wurde der Zaun eines in der Nähe des Stiftungshauses liegenden Grundstücks der Kieler Abfallwirtschaft. Er ist in einem auffälligen Orange gestrichen, das die Farbe der Dienstkleidung in der Müllbeseitigung ins Gedächtnis ruft. Während wir bei seinem Anblick möglicherweise an den Aspekt der corporate identity denken, wird er einer Malerin mit Sicherheit noch aus anderen Gründen ins Auge stechen. Nicht zuletzt, weil das schrille und laute Orange einen spektakulären Kontrast bildet zu den sanften und stillen Grüntönen der Pflanzen und Büsche, die mit ihren Blättern und Zweigen gegen die eisernen Verstrebungen des Zauns drängen.

Darüber hinaus ist dieser Zaun als Bildmotiv interessant, weil er in regelmäßig wiederkehrende Abschnitte unterteilt ist. Sie haben Ähnlichkeit mit einem Raster, das in der geometrischen Abstraktion der Moderne und in der Minimal Art eine wichtige Rolle spielt. Auf einem Installationsfoto hat die Künstlerin eine Ihrer Leinwände vor einen solchen Abschnitt gestellt, und man muss schon genau hinsehen, um ihn als gemalten zu erkennen. Nicht nur, weil die Leinwand in ihrem Format beinahe deckungsgleich mit den Maßen des Zauns ist, sondern auch weil die Modulationen der gemalten Grüns, die Verteilung von Licht und Schatten auf dem Bild und die aus dem Hintergrund partiell hervorleuchtende, orangefarbene Müllwagenansicht sich bruchlos in die Umgebung einfügen, obwohl sie weitaus farbiger sind als der fotografierte Teil.

Über Monate hat Caroline von Grone ihre Motive in wechselnden Jahreszeiten jeweils gegen Mittag festgehalten. Das Ergebnis sind sieben große, neun mittlere und zwölf kleine Bilder im Querformat des Landschaftsbildes.

Das auf dem Bild liegende Raster des Zauns stellt die hinter ihm atmende und lebendige Natur in ihrem Existenzrecht massiv in Frage. Sie wirkt eingesperrt und domestiziert. Wie von selbst wird die Opposition der unterschiedlichen Bildmotive zum Symbol. Nicht nur für die Konkurrenz unterschiedlicher Kunstsprachen und verschiedener Weisen der Welt- und Wirklichkeitserfassung. Sondern auch für eine Erzählung vom Menschen. Der ironische Titel, „Paradiesgärtlein“ (2006/07), den die Künstlerin ihrer Werkserie gegeben hat, tut dabei ein Übriges.

Wir denken an Heinrich von Kleist (1777–1811) und an seine Metapher vom „verriegelten“ Paradies. Um wieder hineinzukommen, wusste der Dichter, müssen wir „die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.“

Michael Stoeber

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Caroline von Grone
geboren 1963 in Hannover,
lebt und arbeitet in Hamburg