Salon Salder


AUS EINEM FLEISCH

Hartmut Stielows Skulpturen beziehen ihren ästhetischen Reiz aus dem gelingenden Dialog von Stein und Eisen. Der hellgrauen Farbe von Granit antwortet der dunkelsamtene Ton von rostrotem Corten-Stahl. Dabei reibt sich die körnige Struktur des Steins an der glatten Oberfläche des Metalls. Die unregelmäßigen Bruchkanten der orthogonalen Würfel, Quader und Stelen aus Stein bilden reizvolle Kontraste zu den exakt geschnittenen und miteinander verschweißten Kanten der Stahlplatten. Die ausgedienten Eisenstücke, die der Bildhauer verbiegt und verformt, fügt er dabei zu so luftig-leichten Konstruktionen zusammen, als falte er Papier. Im Zusammenspiel mit dem voluminösen Stein scheint das Eisen das ihm eingeschriebene Gewicht – es ist dreimal so schwer wie Stein – Lügen zu strafen. Wenn auch in den Skulpturen Stielows der Stein den eher statischen, das Eisen den dynamischen Part übernimmt, gelingt es dem Bildhauer doch, die Materialien zu optisch ausbalancierten Gebilden zusammenzufügen. Ohne auratisierende Sockel, ohne Schau- und Rückseite werden sie vom Betrachter in ihrer perspektivischen Mehransichtigkeit erst im Herumgehen ganz erfahren.

Die Titel, die der Bildhauer aus Benthe seinen ungegenständlichen Werken gibt, wollen die Aufmerksamkeit des Betrachters hin zu bestimmten Assoziationen lenken. Früher haben sie nicht selten gedankenschwer die Nähe zu kabbalistischer Philosophie, antiker Mythologie und komplizierter Zahlenmystik gesucht. Da war es für den Betrachter nicht immer einfach, die Semantik der Titel mit der Form der Werke in Übereinstimmung zu bringen. Inzwischen treten sie in ihren Benennungen deutlich bescheidener auf. Die Skulpturen selbst konzentrieren sich weiterhin auf das bereits im Studium von Stielow entwikkelte Zusammenspiel zweier konträrer Materialien. Die Beharrlichkeit, mit der er seinen künstlerischen Weg geht, erinnert an jene Zen-Meister, die ein- und dieselben Übungen ein ganzes Leben lang praktizieren und perfektionieren, bis sie in ihrer Handhabung eine Meisterschaft erreicht haben, die ganz leicht und lakonisch jede Erdenschwere abgestreift zu haben scheint.

In „At Ease“ (2010) schmiegt sich das Eisen so selbstverständlich um den hoch aufragenden Stein, als seien sie aus einem Fleisch und gehörten von Anbeginn an zusammen. Die Skulpturen „Morgen“ (2011), „Mittag“ (2012) und „At Dawn“ (2012) zeichnen, nebeneinander gestellt, einfühlsam und suggestiv die Bewegung der Erde um die Sonne nach. Ihr abstrakter Modus fordert die Imaginationskraft des Betrachters heraus und beflügelt sie zugleich. „Ursus Minor“ (2012) blickt auf den nächtlichen Sternenhimmel und übersetzt das von Europa aus immer sichtbare Sternbild des Kleinen Bären in eine einprägsame bildhauerische Konstellation. Hartmut Stielows „Kreuzstele“ (2007) dagegen verkehrt die gewohnten Verhältnisse seiner Skulpturen und zwingt den Stahl in die Vertikale und den Stein in die Horizontale. Auch in „gen Osten“ (2013) haben seine Materialien partiell die Rollen getauscht.

So abstrakt Form und Stoff in den Stielows Werken auch sein mögen, stets repräsentieren sie. Ihre Darstellungsweise bewegt sich dabei nicht allein in Richtung der durch die Titel in Vorschlag gebrachten Narrative. Sondern seine Skulpturen überzeugen in erster Linie als reine Gestaltung. Was den Blick des Betrachters fesselt ist die Ausgewogenheit, mit der sich die konträren Materialien in jedem Werk neu zur Einheit verbinden. Auf dieser Ebene bringt der sich wiederholende Dialog von Stahl und Stein jenseits einer spezifischen Erzählung in symbolischer Weise die Sehnsucht des Künstlers nach einer gelingenden Symbiose von Natur und Kultur, Materie und Geist, Archaik und Moderne zum Ausdruck. In diesem Willen zur harmonischen Ausbalancierung von Gegensätzen und Widersprüchen werden die Skulpturen von Hartmut Stielow zu Hoffnungsbildern in zerrissener Zeit.

Michael Stoeber

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stielow-hartmut/stielow-hartmut
geboren 1957 in Benthe bei Hannover,
lebt und arbeitet in Gehrden