Salon Salder


SEIN UND SCHEIN

Die Dinge sind nicht, was sie scheinen. Eine Binsenwahrheit? Nicht für den Fotografen. Sein Medium, der Fotoapparat, ist so konstruiert, dass die von ihm erzeugten Bilder stets aufs Neue die Ähnlichkeit zwischen Bild und Abbild beglaubigen. Der Apparat zeigt, was die Linse sieht. Wenn der Fotograf unser Misstrauen gegenüber der von ihm ins Bild gesetzten Wirklichkeit wecken will, dann muss er, einem schönen Wort von Vilém Flusser (1920–1991) folgend, den Fotoapparat „überlisten“. Er muss ihn zwingen, eine Wirklichkeit herauszugeben, die über sich hinausweist. Das allerdings ist nur möglich, wenn der Blick des Fotografen auf die Welt ein ebenso analytischer wie gestaltender ist. Einer, der in der Lage ist, den Widerspruch zwischen Sein und Schein sichtbar zu machen.

Genau darin liegt die Begabung von Caroline Hake. Der Fotoapparat ist für sie ein Medium, die Wirklichkeit zu hinterfragen. Ein Beispiel: Bei einem Studienaufenthalt in Los Angeles hat die Künstlerin die Stadt fotografiert. Auf einem Bild, „Smog“ (2002), liegt die Downtown von Los Angeles wie in einer zarten Grisaille undeutlich vor unseren Augen. Die Aufnahme ist weit mehr als nur ökologische Kritik. Wenn die Stadt auf ihr wie aus dem Nebel auftaucht, hat sie stärker Ähnlichkeit mit einem der Schattenbilder, von denen uns Platon in seinem „Höhlengleichnis“ erzählt, als mit der Wirklichkeit. In dem Maße, wie sich ihre Konturen auflösen, greift Hakes Bild auch unsere Klischees über Los Angeles an. Es meldet grundsätzliche Zweifel daran an, wie realistisch unsere Vorstellungen von der Filmstadt als Mythen-, Glamour- und Starproduzentin sind. Wirklichkeit und Überhöhung sind in ihm ebenso selbstverständlich da wie Analyse und Kritik.

Nicht anders in Hakes Aufnahmen von Paris, die während eines weiteren Studienaufenthaltes der Künstlerin im Jahre 2012 entstehen. Während sie in der glühenden Sonne von Los Angeles in Farbe fotografierte, entscheidet sie sich angesichts des bleiernen Lichts in der französischen Hauptstadt für schwarzweiße Bilder. Was beide Werkserien gemeinsam haben ist, dass sie so genannte Landmarks meidet. Sehenswürdigkeiten sind – literarisch gesprochen – Katachresen, aus denen sich nur wenige Einsichten über das Wesen einer Stadt gewinnen lassen. Wobei es Hake in „[nõn-stop]“, so der Titel der Arbeit, weniger um das Singuläre von Paris als um das Exemplarische einer bestimmten, bis heute andauernden Bebauung geht. Um eine Architektur, die in der Nachkriegszeit, vor allem aber in den 1960er Jahren, als Betonbrutalismus Einzug in viele Metropolen der Welt hielt, vorzugsweise in deren Randbezirke. Über ihre gesellschaftspolitische Problematik hat Alexander Mitscherlich (1908–1982) in seinem Buch „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ (1965) das Notwendige gesagt. Caroline Hake findet für das Feindselige dieser Architektur, die es dem Menschen schwer macht, Heimatgefühle zu entwickeln, überzeugende Bilder.

Aber bei solch sattsam bekannter Kritik bleiben ihre Fotografien nicht stehen. Sondern sie stellen, vor allem in Nah- und Detailaufnahmen, das spezifische Formvokabular dieser Architektur heraus. An ihm lässt sich bis heute der Wille zu einem ästhetischen und politischen Neuanfang ablesen, wie grandios er am Ende auch scheitert. Beim gelegentlichen Blick auf historische Fassaden wird im Vergleich das Besondere der Bauweise deutlich. Und im Schnitt und Rhythmus der Aufnahmen von Caroline Hake gewinnt diese Architektur eine eigene Poesie und Schönheit. Sie zeigen sich auch in der Melancholie und Einsamkeit ihrer Bilder. Was fabelhaft ist: All das hat nichts Nostalgisches. Im Gegenteil ist der inhumane Charakter der Bauten in scharfer Belichtung herausgearbeitet. Zugleich legt die Fotografie aber auch Zeugnis ab vom Überlebenswillen der dort lebenden Menschen, kann doch eine Wohnung „töten wie eine Axt“ (Heinrich Zille (1858–1929)). Das macht zum nicht geringen Teil ihr eigentlich Tröstliches aus.

Michael Stoeber

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Caroline Hake
geboren 1968 in Wiesbaden,
lebt und arbeitet in Braunschweig