LONESOME COWOBY
Das Werk der Künstlerin setzt sich aus ganz unterschiedlichen
Medien zusammen: Text und Theorie, Objekt und
Installation, Aneignung und Aktion, Fotografie und Malerei
spielen in ihm gleichermaßen eine Rolle. Sie erscheinen
nie allein auf sich selbst bezogen, sondern stets als
Elemente einer größeren Kunstkonzeption. Mit ihr will
Inka Nowoitnick in unser Leben eingreifen. Der Elfenbeinturm
ist kein Aufenthaltsort für sie. Sie drängt mit ihrer
Kunst in den Alltag. Der ist der Ausgangspunkt ihrer
artistischen Interventionen.
In den Arbeiten der letzten Jahre hat sich Nowoitnick mit
Mythen und Ikonen beschäftigt, die mehr oder weniger
sinnstiftend unser Leben bestimmen. Zu ihnen, das wissen
wir spätestens seit den Ausführungen des französischen
Philosophen Roland Barthes (1915–1980), kann jeder
Gegenstand in unserem Leben werden, wenn wir ihn entsprechend
mit Bedeutung aufladen. Barthes wesentlicher
Beitrag in seinem wichtigen Buch „Mythen des Alltags“
bestand darin, uns deutlich zu machen, dass es sich dabei
stets um Konstruktionen handelt und Mythen und Ikonen
nicht naturhaft über uns kommen.
Das weiß auch Inka Nowoitnick. Zugleich weiß sie aber
auch, dass wir Menschen solche Sinnkonstruktionen zum
Leben und Überleben brauchen. Entsprechend nachsichtig
schaut sie auf die bunte Mythenpalette, von der wir umgeben
sind und zu der vor allem die allgegenwärtige Werbung
das ihrige beiträgt. Ihre Haltung dazu schwankt
zwischen Zustimmung und Ironie.Ihr elektrischer „Kerzen-
Automat“ (2007) travestiert ein religiöses Ritual, bei
dem wir Kerzen anzünden und Gott um Beistand bitten.
Nowoitnick nennt ihn eine Wunschmaschine. Mit ihm als
interaktives Objekt geht sie seit 2010 auf Welttournee in
den öffentlichen Raum und stellt ihn in Banken, Bahnhöfen
und Einkaufszentren auf, aber auch in Museen, Kinos
und Bibliotheken. Seine Benutzer sind aufgefordert,
per Knopfdruck für die Dauer von fünf Minuten eine
Kerze zum Leuchten zu bringen und sich dabei etwas zu
wünschen.
Die Nähe des Kerzen-Automaten zur Kirche reanimiert in
spielerischer Weise ein religiöses Gefühl, das mehr und
mehr zu verschwinden droht, ohne strictu sensu einer bestimmten
Religion das Wort zu reden.
„Heimliche Übernahme“ nennt Nowoitnick treffend ihre
Intervention. Eine andere Form einer solchen Beschlagnahme
finden wir in ihrer Malerei, z. B. in der 4-teiligen
Serie ihrer „Heiligenbilder“ (2006). Statt bekannter Figuren
aus der religiösen Heils- und Heiligengeschichte setzt
sie ornamentalisierte Bäume und Pflanzen ins Bild, durch
deren Zweige und Blätter nach pantheistischer und naturreligiöser
Vorstellung göttlicher Atem weht, wie erstarrt
sie sich in Inka Nowoitnick Malerei auch zeigen mögen.
In einem Gemälde lehnt ein kleiner, blühender Kaktus
an einem mächtigen zylindrischen Rohr. In einem anderen
Bild überragt ein turmhohes Haus ein schmächtiges
Bäumchen. Die Motive sind abstrahiert und stilisiert.
Turm und Rohr wirken wie riesenhafte Altarkerzen, und
die Landschaften sehen aus wie barocke Faltenwürfe. Als
hätten die Skulpturen Gian Lorenzo Berninis (1598– 1680)
Pate für sie gestanden.
Eine andere Form der Übernahme gilt dem Film und der
Werbung, beide groß im Geschäft als moderne Mythenbildner.
Inka Nowoitnick wendet sich in ihren Collagen
aus den Serien „Cowboys“ (2006 und 2011) dem
weiten Land von Marlboro County und dem Wildwestfilm
zu. Einer ihrer Lieblingsfilme in diesem Genre ist
„The Good, the Bad and the Ugly“ von Sergio Leone
(1929–2011). Wenn sie in ihren Bildern die Rolle der
Männer übernimmt und statt der harten und einsamen
Marlboro Cowboys in die untergehende Sonne reitet
oder statt Clint Eastwood (*1930), Lee Van Cleef (1925–
1989) und Eli Wallach (*1930) aufs Pferd steigt, dann
bricht sie nicht nur eine entscheidende Lanze für die Sache
des Feminismus, sondern zeigt auch einmal mehr, wie
wirkmächtig der Mythos in unser Leben greift. Dass
dies auch in Zukunft so sein wird, macht das non finito
ihrer Collagen unübersehbar deutlich.
Michael Stoeber
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Inka Nowoitnick
geboren 1966 in Berlin,
lebt und arbeitet in Braunschweig