Salon Salder


Aufstand der Dreiecke

Charakteristisch für die Kunst von Nora Lena Meyer ist das Dreieck. Es begründet die Signatur ihrer Bilder und sorgt so für einen hohen Widererkennungswert ihrer Werke. Damit reiht sie sich ein in die Reihe jener Künstler, die wir uns angewöhnt haben, mit bestimmten Materialien und Motiven ihrer Werke identisch zu denken. Marcel Duchamp, das ist in erster Linie das Readymade, Kurt Schwitters, das sind die Merz-Bilder, Kasimir Malewitsch das schwarze Quadrat, Lucio Fontana die geschlitzten Leinwände, Günther Uecker der Nagel, Joseph Beuys Filz und Fett, Georg Baselitz die Kopf-über-Bilder, A. R. Penck die Piktogramme und so fort. Wie jenen gelingt es auch Nora Lena Meyer, ihrem Motiv eine große Bandbreite an Variationen und Artikulationsweisen abzugewinnen. Dabei geht es der Künstlerin indes keineswegs nur um formale Exerzitien, sondern ihre Bilder, die auf den ersten Blick rein abstrakt aussehen, unterlegt sie regelmäßig mit narrativen Elementen.

Sie unterminieren unsere üblichen Vorstellungen vom Dreieck, das zusammen mit weiteren geometrischen Figuren und ihren stereometrischen Pendants zu den ewigen und unveränderlichen Formen gehört, die schon Platon an seinen Ideenhimmel heftete. Wer Welt und Wirklichkeit more geometrico betrachtet, nach den Gesetzen der Geometrie also, unterwirft sie streng rationalen Erklärungsweisen. Gedacht wird dabei in hierarchischen Ableitungen und Ausschlüssen, die für das Abweichende im Leben, das nicht selten auch das Überraschende, Zufällige und Wunderbare ist, keinen Raum lassen. Ganz anders stellt sich uns das Dreieck in den Bildern von Nora Lena Meyer dar. Es breitet sich in einem nicht enden wollenden, anarchischen Zeichenstrom auf dem Papier aus. Selten erscheint es dabei gleichseitig oder rechtwinkelig, als in sich ruhendes und statisches Dreieck, an das sich die meisten Formeln und Gesetze wie die von Pythagoras und Euklid binden. Sondern die Künstlerin staucht und zerrt es, malt es spitzwinkelig und sphärisch, mit anderen verbunden, dynamisch und mobil, immer in Bewegung. Man denkt beim Anblick ihrer rhizomartigen und basisdemokratischen Dreiecke an die schöne Empfehlung von Karl Marx, der einmal geschrieben hat, man müsse den versteinerten Verhältnisse ihre ureigene Melodie vorspielen, um sie zum Tanzen zu bringen. Jenseits des großen Narrativs der Befreiung des Dreiecks von seiner traditionellen, von der Antike bis zur Minimal Art reichenden Rolle erzählt jedes Werk von Nora Lena Meyer in ganz spezifischer Weise. Ihr in Salder präsentiertes Triptychon verweist darauf durch seine Titel. Sie legen nahe, dass die Künstlerin die Anstrengung auf sich genommen hat, mit ihm einen gewaltigen Historienzyklus zu schaffen, der vom Anfang der Welt bis zu ihrem noch ausstehenden Ende handelt. Im ersten Bild, „Dr. Eye löffelt die Ursuppe aus“ (2012), lässt sich Dr. Eye, als ein Wort gelesen, auch als Drei verstehen. Und erinnert so an das Dreieck, das hier einmal mehr zum Protagonisten wird, um die Entstehung der Welt zu visualisieren. Mit großer Kraft erheben sich die Dreiecke des Werks aus einer Masse rot glühender Lava. Im Mittelteil des Triptychons, „It´s All For The Maybees“ (2012) beruhigt sich die Farbe hin zu einer ausgewogenen Zweiheit von Hell und Dunkel, Schwarz und Weiß, symbolisch gesprochen, von Gut und Böse. Hier ist noch alles möglich. Die Dreiecke, die sich wie üblich aus Farbe und ganz unterschiedlichen Klebestreifen aufbauen, verharren im Zustand der Potenzialität. Darauf verweist auch der Titel mit dem Begriff „Maybees“. Mit dem zusätzlichen „e“ wird das „Maybe“ zum Menetekel, das an das rätselhafte Bienensterben („bees“) weltweit erinnert. Es wirft ein fragwürdiges Licht auf die kapitalistische Gesellschaft; nicht anders als die Fotostreifen des Werks, die Ansichten von New York zeigen.

Die amerikanische Metropole als Stadt der Lehman Brothers Pleite symbolisiert die Gier und Unersättlichkeit des kapitalistischen Systems. Ein Ort der Hybris wie das alte Babylon. Die sich zu Dreiecken organisierenden Fotostreifen weisen voraus auf das letzte Bild des Triptychons, „Höllensturz 4.0“ (2011). Künstler von Dürer bis Delacroix haben sich des Themas der abtrünnigen Engel angenommen. Nora Lenas Meyers Dreiecke organisieren sich zu einer kühnen Abwärtsbewegung. In ihr findet sich der Furor des Erzengels Michael wieder, der mit der Lanze in der Hand herab fährt und die Bösen bestraft: hier die für die Sündenfälle des Kapitalismus Verantwortlichen. „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, lesen wir bei Hölderlin. Hier durch die sozialen Netzwerke, die sich im Internet, „4.0“, organisieren und für eine bessere Gesellschaft kämpfen.

Michael Stoeber

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Nora Lena Meyer
geboren 1978 in Braunschweig,
lebt und arbeitet in Berlin