Salon Salder


Sowohl – als auch

Hanswerner Kirschmann fertigt nach eigenem Dafürhalten Arbeiten zwischen Zeichnung und Bildhauerei an. Hier taucht zum ersten Mal, ohne explizit benannt zu werden, der Begriff des In-between auf. Er hat wie kein anderer Karriere gemacht in der zeitgenössischen Kunst, da er sie aus dem Ghetto der Gattungen geholt und in die Freiheit des Interdisziplinären und Intermediären geführt hat. Der Wunsch, in der Kunst Zwischenzustände zu erforschen, reagiert auf eine veränderte Vorstellung vom Menschen und seiner Autonomie, die sich in dieser Form erst in der Moderne so richtig ausgeprägt hat. Ihr zufolge weiß man deutlicher als je zuvor in der Geschichte, wie sehr er ein Doppelwesen ist, auf Schnittstellen balancierend wie auf des Messers Schneide und hin und her gerissen zwischen Gefühl und Verstand, Bewusstsein und Unbewusstem, Geschichte und Gegenwart. Mit der Konzentration auf das Intermediäre verbindet sich der Wille Hanswerner Kirschmanns, Grund lagenforschung zu betreiben und die Parameter der Bildhauerei einer näheren Betrachtung zu unterziehen: Wie ist das Verhältnis von Fläche und Volumen, von Volumen und Raum, von Raum und Betrachter? Welche Rolle spielt der Sockel? Wann ist er Teil des Werks, wann unabhängig von ihm? Wann muss ein Werk einen Sockel haben, wann kommt es ohne ihn aus?

Das Intermediäre verbindet sich mit dem Widersprüchlichen, das gleichwohl in Balance gebracht sein will, zu einem Sowohl – als auch. Das schreibt sich leichter, als es getan ist. Das ist nicht allein eine semantische, sondern in erster Linie eine formale Aufgabe. Wenn ein Werk ästhetisch nicht gelingt, dann ist es keine Kunst. Dann hat es seinen Zweck definitiv verfehlt. Hanswerner Kirschmann ist ein Meister in der Zusammenführung und Harmonisierung des Disparaten und Nicht Zusammengehörigen. In „o. T.“ (2002) – alle Werke des Künstler sind ohne Titel, nicht weil ihm zu seinen Arbeiten nichts einfiele, sondern weil er die Betrachterfreiheit nicht einschränken will – sehen wir ein flaches Wandobjekt aus Sperrholz mit unregelmäßigen Konturen, blau lackiert bis auf zwei identische, vertikale, einander benachbarte Formen im oberen Bereich. Die Traditionen, an die es anknüpft und die es aufruft, sind vielfältig: gestische Abstraktion, Minimal Art, monochrome Malerei. Sie werden in einer Weise synthetisiert und zusammengeführt, dass keine Kunstrichtung die andere in Dienst nimmt und dominiert und aus der Verbindung aller etwas absolut Neues und Eigenständiges, so bisher noch nicht Gesehenes, entsteht. Das gelingt nur wenigen Künstlern. Ähnlich ist der Eindruck bei der Betrachtung von „o. T.“ (2004/06). Ein aus Spanplatten gebildeter Quader, dessen oberer Teil leicht zurückspringt. Dort zeigen sich zwei aus Sperrholz geformte Öffnungen, die wie Münder mit weit vor gestülpten Lippen aus ihm hervorragen. In einem weiteren Werk, „o. T.“ (2012), verbinden sich zwei gegeneinander versetzte Quaderformen zu einer. Im unteren Bereich sehen wir drei Einschnitte, die wie unregelmäßige Linien das Volumen des Objekts irritieren, zusammen mit einer gezackten, runden, ebenfalls von einer Säge herrührenden Öffnung und einem runden Sperrholzrohr in seiner Mitte. Bei einem stuhlförmigen Quader, „o. T.“ (2005/08/11), sind in die Oberfläche regelmäßige und unregelmäßige reliefartige Formen eingelassen. Ein an der Wand hängender großformatiger Quader, „o. T.“ (2008/12), ist mit einem kleinen Relief tätowiert. Es steht im Dialog mit weiteren Wandzeichen über ihm. Ein Relief aus Sperrholz schmückt einen schmalen Quader, „o. T.“‘ (2012), der einem konstruktiven Idol ähnelt.

Hanswerner Kirschmann stimmt im Salon Salder seine Werke auf den Raum ab, in dem er sie zeigt. Dabei bedient er sich schon geschaffener Arbeiten. Sein Beitrag ist „in situ“, und er ist es auch wieder nicht. So beobachten wir bei der Präsentation einmal mehr ein intermediäres und widersprüchliches Moment. Ganz ähnlich ist es, wenn der Künstler über seine Werke als von Artefakten spricht, die nichts abbilden und doch etwas zeigen wollen. Soll heißen, die nicht dies oder das sind, nichts Bestimmtes und Distinktes, nichts unmittelbar Wiedererkennbares, keine realen Spiegelbilder und die doch zur Welt und zur Wirklichkeit gehören. Indes wohl eher als utopische Traumbilder einer „coincidentia oppositorum“ denn als konkrete Zuschreibungen. Eher Möglichkeitsals Wirklichkeitsformen. Zu den für Hanswerner Kirschmanns Werk charakteristischen Begriffen wie intermediär und widersprüchlich gesellen sich so noch das Vorläufige und Unvollkommene. Sie bleiben nicht bei der Bildhauerei stehen, sondern verbinden sich wie von selbst zur perfekten Analogie eines Bildes vom Menschen.

Michael Stoeber

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Hanswerner Kirschmann
geboren in Hannover,
lebt und arbeitet in Bremen