Seltsame Weggefährten
„Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ - die wilden
Kerle von Jan Thomas scheinen demselben direkt entstiegen
zu sein. Zwei archaisch wirkende Kerle, wie aus einer
anderen Zeit, schreiten auf einen Holzkäfig zu, in dem bereits
Erlegtes festgehalten wird, das Fell schaut aus dem
Käfig hervor. Die Gruppe heißt „Companions“. Der
Künstler hat diese Ungetüme mit ihren langen Bärten erschaffen.
Einer von ihnen hat drei menschliche Schädel
samt Haut und Haaren in seinem Bart verwoben. Sie
hängen dort wie Trophäen. Den vierten Kopf hält er an den
langen Haaren fest in der Hand, als hätte er diesen seiner
Beute gerade abgerissen. Diese Mischwesen zeichnen sich
durch spitze Ohren, wie man sie im Tierreich sieht, und
große Hände, die eher an Pranken erinnern, aus. Beide Gestalten
vereinen sowohl naturalistische als auch phantastische
Erscheinungen in sich. Kurz hat man die Assoziation
von Hölle, wo mit Totenköpfen jongliert wird. Auch die
Verfremdung des Fußes in Form einer Kralle oder die Säbelzähne
erinnern an ein Ungeheuer - ein Monster welches
der Unterwelt oder einem bösen Traum entstiegen sein
muss und nun Realität geworden ist.
Sieht man die Arbeiten von Jan Thomas denkt man unmittelbar
an den Radierzyklus „Los Caprichos“ von Francisco
de Goya und insbesondere an das oben genannte
Blatt „el sueño de la razón produce montruos“. Goya fertigte
denselben in der Zeit von 1797 bis 1799. Der Titel
„Los Caprichos“ bedeutet so viel wie Laune, Grille oder
Einfall. Es ist eine schonungslose Satire auf gesellschaftliche
Missstände mit all ihren Leidenschaften, Lastern
und Deformationen der damaligen Zeit. Eine Laune der
Natur scheinen auch die Companions von Jan Thomas zu
sein. Ähnlich wie die Arbeiten von Goya einen Bezug auf
die Schwächen der Gesellschaft zu damaliger Zeit waren,
verhalten sich die Arbeiten von Jan Thomas Arbeiten zur
heutigen Zeit. Auch er hält uns den Spiegel vor. Er schafft
absurde, grotesk aussehende Geschöpfe, die die bösesten
Ahnungen des Menschen in sich selbst ansprechen. Sie
zeigen die wilde Natur, seine ungebremsten Triebe erinnern
an Kannibalismus und das Übel auf der Welt. Von der Antike
über das Mittelalter bis in die heutige Zeit ist das Böse
überall und der Mensch versucht es einzudämmen. Das
Böse ist ubiquitär.
Jan Thomas schafft seine Geschöpfe aus Pappelholz - mit
Säge, Axt und Beitel bearbeitet er den Holzstamm und fertigt
diese wild aussehenden Kerle, Mischwesen und Ungeheuer,
die einen auf den ersten Blick erschrecken, weil sie
durch ihre Haltung, Gestik und ihr Aussehen zwischen
Mensch- und Tiersein die Urängste des Menschen ansprechen.
Lauert das Böse in jedem von uns. Die Skulpturen
haben eine starke Präsenz, weil ihr Ausdruck so ungebändigt
und animalisch ist. Sie wirken auch grotesk - ja
ironisch, weil sie trotz ihrer Wildheit erstarrt und kontrolliert
sind. Sie scheinen in ihren Positionen zu verharren,
als warten sie darauf zum Leben zu erwachen und losgelassen
zu werden.
Auch das Chimärenensemble greift die Thematik, die Anwesenheit
des Bösen, das überall lauert wieder auf. Die
griechische Mythologie beschreibt die Chimäre als Tochter
der Ungeheuer Echidna und Tyhon, sie bedrohte sowohl
Mensch als auch Tier. In Homers Ilias wird sie als
Feuer speiendes Wesen mit Löwenkopf, einem Ziegenkopf
im Nacken und einem Schlangenkopf als Schwanz beschrieben,
die durch Bellerophon, dem Enkel von Sisyphus
getötet wurde. Der Kampf Gut gegen Böse, das Motiv der
Chimäre ist also in der Menschheitsgeschichte allgegenwärtig.
Die Chimäre ist allseits auch durch die Gentechnik
ein Begriff. Der Mensch greift mit der ihr in die Evolution
ein, bringt ganze Ordnungssysteme durcheinander
und lässt künstliches Leben immer realer werden. Die
Sorge der Menschen, dass das künstlich geschaffene Leben,
die Geschöpfe, sich verselbständigen, ihren eigenen
Weg bahnen, - diese Sorge wird immer greifbarer. Jan
Thomas bringt mit seinen Geschöpfen unsere Angst auf
den Punkt. Er macht unsere Gefühle, das Gute und das
Böse sichtbar. Er führt es uns mit seinen Skulpturen bildhaft
vor Augen, was in einem jeden schlummert. Die Wahl
was man von einem jeden sieht, hat ein jeder selbst.
Stephanie Borrmann
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Jan Thomas
* 1970 in Salzgitter, lebt und arbeitet in Halle