Existentielle Erfahrungen auf rotem Grund
Die Bilder sind groß, rot und zeigen uns eine Bildwelt, in
der sich kleine Menschen auf verschlungenen Pfaden
bewegen und immer eine Hand ausstrecken, als würden
sie winken. Hans Karl hat diese Bildhandlung in zahlreichen
Variationen immer wieder gemalt und dabei geometrische
Formen, farbige Dreiecke, konzentrische
Kreise vom Bildrand in das Zentrum vordringen lassen.
In Rotes Bild mit blauen Männern sind die Frauen nackt,
die Männer blau oder grün geringelt bekleidet und sichtbar
erregt – doch eine Vereinigung scheint unmöglich, das
Winken umsonst.
So entsteht ein produktiver Gegensatz zwischen dem
malerischen Grund mit seinem gestischen Lineament
und den Geschichten, von denen die fast kindlich gezeichneten
Figuren erzählen. L’Art Brut trifft auf
deutsch-französisches Informel, also auf jenes Prinzip
der Formauflösung bei gleichzeitiger Betonung des Gestischen,
für die der Kunstkritiker Michel Tapié 1951 den
Begriff art informel gefunden hatte. Die Figuren wie die
eingestreuten geometrischen Formen sind dem Erfindungsreichtum
eines Paul Klee, Kinderzeichnungen aber
auch bestimmten Positionen der Outsider-Kunst und
vor allem jenem Grenzgänger verpflichtet, in dessen
Werk das Informel und ein archetypisches Menschenbild
zusammenkommen: Jean Dubuffet. „Ich vermeide alles
jeweilig Zufällige bei den Sujets [...¬¬¬] und wenn ich einen
Menschen abbilde, erscheint es mir ausreichend,
dass auf meinem Bild zwar ein Menschengesicht erscheint,
aber ohne irgendwelche besonderen Merkmale,
die so nichtig sind.“ ( Jean Dubuffet)
Auch Hans Karl vermeidet jede Individualisierung seiner
Figuren, sie bleiben anonym. Nur so vermögen sie die
Allgemeingültigkeit ihrer Situation mitzuteilen. Die
Menschen in seinen Bildern suchen Kontakt, sie wollen
andere Menschen treffen, sich mit ihnen vereinen, doch
diese sind weit entfernt, zeigen keine Reaktion, sind eingeschlossen
in ihren Schneckenhäusern oder leben gar in
einer anderen Welt, auf der anderen Seites des Globus, wo
alles (scheinbar) auf dem Kopf steht.
In diesem Figurenstück ergeht es unseren Stellvertretern
schlimmer als in Samuel Becketts Theaterstück „Warten
auf Godot“, in dem Estragon und Wladimir wenn nicht
Hoffnung, so doch wenigsten noch Illusionen haben. In
unserem Bild und für diesen Augenblick bleiben die
blauen Männer einsam und ohne jede Hoffnung, um
sich im nächsten Augenblick in unserer Vorstellung dann
vielleicht doch auf die ebenfalls einsame Frau zuzubewegen
und die eingeschlossene Schöne zu befreien. Michael
Stoeber hat diese Bilder als Gleichnis gesehen und
den Malgrund als Bühne menschlicher Leidenschaften
beschrieben, „als eine Art menschlicher Komödie, die
von der Sehnsucht der Männer nach den Frauen und
vielleicht auch von der Sehnsucht der Frauen nach den
Männern handelt und von der Unmöglichkeit eines sich
erfüllenden Begehrens. Dass Karl dieses Schauspiel in
heitere Farben und komische Formen kleidet, unterstreicht
auf irritierende Weise das Drama einer immer
aufs Neue frustrierten Lust. In der ambivalenten Spannung
von Form und Inhalt vollziehen seine Bilder einen
ebenso schwierigen wie gelingenden Balanceakt zwischen
Euphorie und Depression“.
In der zweiten Arbeit von Hans Karl „Rotes Bild mit Liegender“
geht es ausgelassener zu. Die weiß gezeichneten
Figuren – erneut auf rotem Grund – stehen näher zusammen,
berühren sich zwar auch in diesem Bild nicht,
sind aber durch ein Gespinst ebenfalls weißer Linien
miteinander verbunden. Alle schreiten, nur ein junges
Mädchen in kurzer Hose liegt (will man dem Titel folgen)
mit wehendem oder ausgebreitetem Haar in einem
ausgegrenzten Feld. Doch auch sie könnte stehen. Wenn
man von rechts auf das Bild schaut, dann tanzt sie sogar
in ihrer engen Behausung. Vielleicht steht dieses Mädchen
für die Hoffnung auf Begegnung, Berührung, Verbindung
der Menschen, die auch in diesem Bild wieder
ihre Arme austrecken, weil sie jemanden suchen, weil sie
jemanden brauchen. Die Bilder von Hans Karl bleiben
Gleichnis-Bilder, geheimnisvoll, mehrdeutig und immer
zu beziehen auf die Existenz und Erfahrungswelt des Betrachters.
Michael Schwarz
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Hans Karl
* 1935 in Steinau, lebt und arbeitet in Hannover