Salon Salder


Farben des Untergangs
Zum Werk von Anette Ziss

Die Malerei von Anette Ziss hat sich in einer Art gegenläufiger Bewegung entwickelt. Angefangen hat sie mit Bildern, bei denen sie Maß genommen hat an großen Werken der Kunstgeschichte wie der „Alexanderschlacht“ (1528/29) von Albrecht Altdorfer (um 1480 – 1538). Ihre Aneignung des Bildes könnte man mit einem vertieften Studium des Gemäldes vergleichen, nicht unähnlich dem Verfahren von Hunter S. Thompson (1937 – 2005), der das Buch „The Great Gatsby“ von Scott Fitzgerald (1896 – 1940) mit der Hand abschrieb, um dem Geheimnis seiner Verfertigung so eher auf die Spur zu kommen als durch bloßes Lesen. Um das Geheimnis der „Alexanderschlacht“ zu entdecken, hat Ziss das Gemälde mit Hilfe einer Blaupause nachgezeichnet. Dabei überführt sie den Krieg zwischen dem Perserkönigs Darius und Alexander dem Großen in komplexe Konturen, die wie eine informelle Zeichnung wirken. Umso mehr, als sie frei gebliebene Flächen durch eigene Striche und Linien ergänzt. Ihre Zeichnung vergrößert sie im Folgenden um das Drei- bis Vierfache und überträgt sie auf den leuchtend weißen Acrylgrund einer Leinwand. Die Linien malt sie monochrom aus. Weil der anfangs pigmentsatte Pinsel im Mal-Akt immer mehr Farbe abgibt, changiert die Struktur. Das daraus resultierende Farbflimmern ist ebenso ambivalent, wie es die Linienkürzel sind, welche die Leinwände bis auf den letzten Quadratzentimeter bedecken.

Dass die Linien wie Viren aussehen, ist äußerst symbolisch. Im Akt der Aneignung zerstört Anette Ziss das Altdorfer-Bild und baut es in ihrer Werkserie der „Details“ (1996) erneut wieder auf. Die Dialektik ist bezeichnend für den Umgang jüngerer Künstler mit der Kunstgeschichte. Sie macht deutlich, dass sie sich in einer Kunsttradition sehen, vor der sie weder verharren noch erstarren, sondern mit der sie in aller Freiheit umgehen und die sie als Material für eigene Werke nutzen. Zehn Jahre später erfährt die Malerei von Ziss eine entscheidende Wende. Während ihrer Auseinandersetzung mit einer Serie von Gouachen des Malers Philipp Hackert (1737 – 1807) erlebt sie dessen „Zehn Aussichten von dem Landhaus des Horaz“ (1780) als in sich so komplett und stimmig, dass sie das Gefühl hat, sie verweigern sich der Aneignung über die reine Linie und über die Zweifarbigkeit von Bildgrund und Bildfigur. Die Beschäftigung mit den Ideallandschaften Hackerts führt die Künstlerin zur Farbe und zu einem anderen Bildtypus. Statt den erhabenen Werken der Kunstgeschichte wendet sie sich nun trivialen Bildern der Alltagskultur zu.

Sie bilden die Vorlage für die Gemälde von Anette Ziss im Salon Salder. Die Motive ihrer kleinformatigen Landschaften stammen aus einem Postkartenbuch über Landschaften im Schwarzwald sowie aus einem Buch über Schmetterlinge. Vergleicht man die Vorlagen mit den Bildern der Künstlerin, wird schnell deutlich was bei ihnen anders ist. Ziss unterwirft sie – wie schon früher – einer spezifischen Handschrift und Malkultur. Aber während sie zuvor Werke der Kunstgeschichte auf ihre Anatomie zurückgeführt hat, um ihren Bewegungsgesetzen auf die Spur zu kommen, arbeitet sie jetzt verstärkt mit Anreicherung statt mit Reduktion. Ihre süddeutschen Wald- und Wiesenstücke poetisiert sie durch ihren Malduktus. Sie sehen aus wie die Bilder einer märchenhaften Welt, deren Formen und Farben eigenen Gesetzen folgen, ohne indes das Band, welches sie mit der Wirklichkeit verbindet, gänzlich zu durchschneiden. Genau die Differenz zwischen Welt und Kunst, Bild und Abbild, macht, dass Ziss´ Gemälde unsere Augen auf Entdeckungsreisen schicken und unsere Fantasie beleben, während sie selbst die auf den Fotos repräsentierte Wirklichkeit neu vermessen und erfinden.

Das ist auf ihren großformatigen Gemälden nicht anders, zu denen sie sich durch Abbildungen in einem Buch über tropische Regenwälder hat anregen lassen. Aber natürlich fließen auch hier, in diese ebenso unheimlichen und bedrohlichen wie idyllischen und anmutigen Bilder noch ganz andere Quellen mit ein. Das Werk „o. T. (Simon´s Rest)“ aus dem Jahre 2012 verweist durch seine Klammer auf einen der Protagonisten aus dem Roman „Herr der Fliegen“ (William Golding 1911 – 1993). Es brauchte des Hinweises nicht, um in den grauvioletten Farben des Bildes hinter heiterem Grün eine düstere Untergangstimmung auszumachen. Das ist auch in dem im selben Jahr entstandenen Gemälde „o. T. (Fern)“ nicht anders. Zwar mehren sich hier die grünen Farben. Aber dazwischen lecken malade fleischfarbene Pflanzenzungen. Und der Urwald wuchert so dicht, dass das Auge weder Horizont noch Ausweg sieht.

Michael Stoeber

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Anette Ziss
geboren 1965 in Göttingen
lebt und arbeitet in Hannover