Salon Salder


Die Kunst des Schwenks
Zum Werk von Christian Dootz

Ein Schwenk im Film ist eine Sequenz ohne Schnitt. Sie besteht aus einer einzigen Einstellung und lässt den Akteuren Raum zum Spielen und zur Entfaltung. Die Kamera wandert von links nach rechts, vielleicht auch wieder zurück, oder von unten nach oben, ohne dass diese Bewegung unterbrochen würde. Der Betrachter folgt ihr mit den Augen, wohin sie ihn führt. Christian Dootz ist ein Fotograf, den der Schwenk fasziniert. Er hat nach Mitteln und Wegen gesucht, ihn für die Fotografie nutzbar zu machen. Maß genommen hat er dabei an berühmt gewordenen Plansequenzen aus Filmen, zum Beispiel „Jackie Brown“ von Quentin Tarantino (geb. 1963) oder „Opfer“ von Andrei Tarkowski (1932 – 1986). Mit Hilfe des Computers hat Dootz Aufnahmen aus den entsprechenden Schwenks isoliert und zu zusammenhängenden Bildern von 250 cm Länge montiert. Der Betrachter wandert an ihnen entlang, um sie zu erfassen. So wie die antiken Peripatetiker im Gehen dachten, erschauen wir auch die Werke von Dootz im Gehen. Das ist in noch stärkerem Maße der Fall, wenn seine Ausdrucke bis zu sieben und acht Metern lang sind wie „close up landscape race“ (2010), das aus über zwanzig eigenen Aufnahmen montierte Bild einer Carrera Rennbahn, oder „close up landscape workstation“ (2004), eine aus ebenso vielen Aufnahmen zusammengesetzte Ansicht seines Arbeitstisches.

Die Bildmontage macht sichtbar, was man normalerweise in einem Foto nicht zu sehen bekommt. Wenn Dootz Aufnahme an Aufnahme reiht, ist die hyperrealistische Klarheit seiner Bilder zugleich von hoher Künstlichkeit. Da er nicht mit Weitwinkel fotografiert, gibt es auf ihnen auch keine perspektivischen Verzerrungen. Wie der Titel seiner Werke es beschreibt, speichern sie ein Paradox. Sie verbinden eine panoramaartige Ansicht der Welt mit einem scharfen Blick auf die Dinge. Sie speichern Zeit und machen deutlich, wie das Leben fließt, von dem sie erzählen. Zum Beispiel - siehe oben - wie wir uns amüsieren oder wie wir arbeiten. Darüber hinaus sind diese Bilder primär ästhetische Produkte. Sie imponieren durch ihr reflektiertes Zusammenspiel von Form und Farbe, durch Echos und Spiegelungen, Kontraste und Kontrapunkte. Sie wollen zunächst als Gestaltung und Komposition, und dann erst als Mitteilung und Inhalt gelesen werden. Der strahlende Auftritt, den die Dinge im Werk von Dootz haben, macht es dem Betrachter leicht, sich auf seine Bilder einzulassen. Sie befriedigen seine Seh-Lust und reizen zugleich seine Entdeckerfreude.

Wie in „close up landscape elevator“ (2005), einem fabelhaften Werk. Eine Hommage des Künstlers an seine Zeit als Student in der Filmklasse von Birgit Hein (geb. 1942). Der Fahrstuhl, den seine wie eine Guckkastenbühne installierten Aufnahmen zeigen, gehört zur Braunschweiger Hochschule und zusammengerechnet, hat Dootz in ihm viele Tage verbracht, an denen er ihn offenbar genau angeschaut hat. Die Bilder führen den Betrachter in das Innere. Die erleuchteten Knöpfe zeigen, dass er bereit ist zur Fahrt. Nicht anders als seine sich schließenden Türen, durch die sich in letzter Minute eine Hand schiebt, um noch mitgenommen zu werden. Sie erinnert, nicht weniger als das Notruftelefon an der Wand, an eine dramatische Filmszene. Im matt schimmernden Stahl der Türen spiegeln sich die blauen und gelben, mit Graffiti übersäten Wände des Fahrstuhls, die dort zur farblichen Einheit finden.

Auch „close up landscape cycling“ (2012), das neue Werk von Christian Dootz für Salder, ist als Guckkastenbühne eingerichtet. Das zentrale Bild, auf den sich der Blick des Betrachters richtet, ist imponierend. Es zeigt in metonymischer Verkürzung die Hinterradbremse und den Sattelholm eines ferrari-roten Rennrades sowie die nackten Waden eines Fahrers. Die starre Mechanik des Rades und das pulsierende Fleisch des Fahrers verbinden sich zu einem irritierenden Hybrid aus Mensch und Maschine. Darin finden viele Paradoxa zur Einheit: Der Körper ist verletzlich, aber auch dominant; das Rad schön, aber auch aggressiv. Die seitlich installierten Bilder zeigen die Landschaft, durch die der Rennfahrer rollt, und die Begrenzungen der Straße. All das taucht noch einmal als Spiegelbild in den gewölbten, stählernen Schrauben der Backenbremse auf. Die Birke erscheint dort klein und verzogen als ganze, nicht nur als Stamm wie im rechten Seitenbild. Die Bewegung des Fahrers durch den Raum ist auch eine durch die Zeit. Und zugleich eine zum Triumph und zu schöner Selbstermächtigung wie zu Ohnmacht und unaufhaltsamen Niedergang. Denn das Leben verbraucht sich nicht weniger als die Reifen eines Rades.

Michael Stoeber

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Christian Dootz
geboren 1971 in Bukarest, Rumänien
lebt und arbeitet in Braunschweig