Salon Salder


Die Hitze der Gegenwart
Zum Werk von Ria Patricia Röder

Fotografieren heißt, aus dem Griechischen übersetzt, mit Licht schreiben. Ein äußerst treffender Ausdruck, den um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zum ersten Mal ein Rezensent der Vossischen Zeitung verwandte, um das damals neuartige Verfahren zu bezeichnen, mittels eines Apparates ein Lichtbild auf ein lichtempfindliches Material zu lenken und dort direkt und dauerhaft zu speichern. Schaut man auf die Fotografien von Ria Patricia Röder, wird man unweigerlich an diese Eigenart des Mediums erinnert. Aber für sie spielt nicht allein das Licht eine große Rolle, sie setzt sich auch mit der Tradition der Fotografie auseinander.

Schauen wir, wie die Künstlerin das Licht in ihren Diyptychon „Inzersdorf I“ (2009) einsetzt. Die Szenerie des Bildes wird von zwei Lichtquellen erleuchtet, einer natürlichen und einer künstlichen. Am Himmel malt sich schwach der rötliche Schein der untergegangenen Sonne gegen die dunklen Schatten der Nacht, die sich bereits auf die Erde herab gesenkt haben. Sie werden vom starken Lichtkegel einer Taschenlampe durchschnitten, die ein nur als Rückenfigur erkennbarer Mann auf eine Baustelle in einem verwilderten Garten richtet. Eine Mauer, Leiter, Zementmischmaschine und andere Gerätschaften werden sichtbar. Der untere Teil des Bildes ist nicht allein durch das helle Licht gegen den oberen abgegrenzt. Die Komposition konfrontiert uns auch mit zwei unterschiedlichen Wirklichkeiten: Himmel und Erde, Natur und Kultur, Idylle und Arbeit, Ruhe und Bewegung stehen einander gegenüber. Dadurch wird das Bild dramatisch. Es wirkt wie ein Filmstill, wie der Anfang einer Geschichte. Es setzt unsere Fantasie in Gang. Wir denken das Foto weiter, wobei wir zu Koautoren der Künstlerin werden. Sein unheimliches Element verstärkt sich in seinem Pendant „Inzersdorf II“. Da fotografiert Röder wie im Film, wenn auf den Schuss der Gegenschuss folgt, direkt in den Lichtkegel der Taschenlampe hinein.

Bei ihrer neuen, nicht weniger suggestiven Bildserie „Raydiator“ (2012) arbeitet die Künstlerin ausschließlich mit Licht. Sie verzichtet auf die Kamera und belichtet ihre Gegenstände direkt auf dem Fotopapier. Der Titel ihrer Bilder könnte aussagekräftiger nicht sein. Er greift zurück in die Geschichte der Fotografie und spielt an auf den amerikanischen Fotokünstler Man Ray (1890 – 1976), der für sich in Anspruch nimmt, als erster kameralose Fotogramme geschaffen zu haben. Zugleich macht er aber durch den Begriff des Radiators auch geltend, dass die Geschichte der Fotografie nicht kalt und abgelebt im Archiv ruht, sondern durchaus Hitze und Lebendigkeit für die Gegenwart bereithalten kann.

Bei den Bildern dieser Serie legt Röder nicht nur Gegenstände wie Folien, Dosen, Karton und Drahtbänder auf das Fotopapier, sondern auch sich selbst oder ein Modell. Dann wirft sie in der Dunkelkammer farbiges Licht auf ihre Inszenierungen. Sie arbeitet in Etappen, wodurch nicht nur Zeit und Veränderung mit in die Bilder treten, sondern auch ihr komplexer Collagecharakter entsteht. Ein fraglos ebenso modernes wie zeitloses Moment, das der Diagnose von T. S Eliot (1888 – 1965) entspricht, der in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts dichtete, was wir heute in Händen hielten, sei „just a heap of broken images“, nur noch ein Haufen zerbrochener Bilder. Röders großformatige Fotogramme partizipieren in überzeugender Weise einmal mehr an zwei Wirklichkeiten. Sie sind zugleich Fotografie und Malerei. Ihre strahlende, psychedelisch anmutende Farbigkeit ist überwältigend. Darüber hinaus sind die Aufnahmen ebenso gegenständlich wie abstrakt. Auf diese Weise überlisten sie nicht nur den indexikalischen Charakter der Fotografie, sondern schaffen einmal mehr eine offene Dimension für die schöpferische Mitarbeit des Betrachters. Der fühlt sich durch sie an Chaos und Kosmos, Weltentstehung und Weltuntergang erinnert. Auch an den Zorn der Götter, die den Menschen einst wegen seiner Hybris spalteten, und an dessen ewige Suche nach neuer Vereinigung. Ebenso an seine emotionale Sehnsucht nach einer harmonia universalis, einer vollkommenen Verbindung von Mensch und Welt. Nicht weniger stark als das romantische Motiv einer Vereinigung von Mensch und Mensch und Mensch und Welt scheint in Ria Patricia Röders Bildern aber auch die Suche des Menschen nach sich selbst auf. Hinter der schattenhaften Wirklichkeit ihrer Werke erkennen wir das Motiv einer Identitätssuche, von der Adelbert von Chamisso (1781 – 1838) in der Geschichte von Peter Schlemihl erzählt.

Michael Stoeber

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Ria Patricia Röder
geboren 1983 in Verden (Aller)
lebt und arbeitet in Verden (Aller)